Betrachtungen zu den Waffenlieferungen an die Ukraine – eine Bündnisgrüne Position aus Sachsen Februar 22, 2023Oktober 9, 2024 Frieden muss immer das Ziel sein, aber dieser Frieden muss eine Qualität haben; es kann ihn nicht um jeden Preis geben. – Franziska Schubert, Fraktionsvorsitzende Entscheidungen über Waffenlieferungen sind nie einfach; das können und dürfen sie auch niemals sein. Auch in Sachsen beschäftigt das Thema viele Menschen. Der Krieg macht Angst, auch, weil er geografisch so nah ist. Man kann dieser Angst argumentativ und objektiv schwer etwas entgegensetzen. Wir merken das in Gesprächen mit Menschen in unseren Wahlkreisbüros. Es gibt die Angst, dass Deutschland in den Krieg hineingezogen wird und es gibt die Angst vor einem Atomschlag. Und es ist schwer, zu erklären, dass Deutschland als NATO-Mitglied ohne konkreten NATO-Bündnisfall nicht Kriegspartei sein kann. Wir wissen, dass es in Ostdeutschland viele Menschen gibt, die aufgrund ihrer DDR-Geschichte und -erziehung eine andere Haltung haben. Doch unsere Haltung als Bündnisgrüne ist es, dass man Menschen nicht nach dem Mund redet, um politisch Kapital daraus zu schlagen, sondern, dass man seiner Überzeugung folgt. Die Bündnisgrünen waren in den letzten Jahren russlandkritisch und Bündnis 90, als eine der Gründungswurzeln, hatte schon immer ein klares Verhältnis gegenüber russischem (bzw. vor 1991 sowjetischem) Hegemonialanspruch und Expansionsstreben. Die DDR war ein Marionettenstaat der Sowjetunion und die Sozialisation der Menschen folgte unter anderem Mustern wie Anti-Amerikanismus – eines Friedens, der zwar Sicherheit versprach, aber dafür ohne Freiheit war und den Moskau selbst schon damals nicht hielt; und einer beschworenen Völkerfreundschaft, die bis heute tief die Erinnerung vieler Menschen im Osten prägt. Es ist schwer, darüber überhaupt ins Gespräch zu kommen, dass die deutsch-sowjetische Brieffreundschaft oder gemeinsame Pionierlager Teil einer Sozialisation waren, die sich tief in die Menschen einprägte und: dass nichts davon geeignet ist, um zu relativieren, was Russland an Leid über die Ukraine bringt. Dazu passt ganz gut, was der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksei Makeiev, der Sächsischen Zeitung unlängst in einem Interview sagte: „Aber ob es wirklich möglich ist, die Augen zuzumachen und zu sagen: Das russische Ballett hat damit überhaupt nichts zu tun, wenn auch die Tänzer sagen: „Ukrainer sind Nazis, die müssen alle getötet werden. Lasst uns doch tanzen. Meine Empfehlung wäre: Wenn Kontakte zu Russland so wichtig sind, fragen Sie bitte diese Russen, die Sie so hochschätzen: Unterstützt du das Töten, das Foltern? Gefällt es euch? Unterstützt man das in Russland? Ich weiß nicht, was für eine Antwort Sie bekommen.“ Leider sind Verschwörungsmythen auch hier wieder unterwegs (oftmals einfach unter diesem ’neuen‘ Thema auf den Spaziergängen an Montagen durch dieselben Personen), in denen Muster von Anti-Amerikanismus, von Verklärung und Verdrehung von Russlands Rolle in diesem Krieg und Geschichtsvergessenheit erkennbar sind. Für uns BÜNDNISGRÜNE sind es schwere Entscheidungen als Teil der Bundesregierung, aber auch innerparteilich, gewesen, als es um Waffenlieferungen ging. Uns geht das nahe. Wir haben in unseren Gründungsstatuten „Schwerter zu Pflugscharen“ stehen. Wir wollen keinen Krieg. Allerdings haben wir große Hoffnungen in den Euro-Maidan gehabt – der Freiheitsrevolution in der Ukraine, derselbigen wir 25 Jahre zuvor im eigenen sowjetisierten Land die Demokratie und den Rechtsstaat verdanken. Wir haben seit jeher die demokratischen Kräfte und den Aufbau einer rechtsstaatlichen, souveränen Ukraine unterstützt. Wir unterstützen darum das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine. Waffen sind dafür notwendig, so schwer uns das auch fällt. Bei Waffenlieferungen bleibt immer Vorsicht und Verantwortung geboten. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass sie nicht in falsche Hände geraten und ausschließlich für Verteidigungszwecke eingesetzt werden. Jegliche Euphorie ist fehl am Platz. Mit einem Blick in die Geschichte sehen wir, dass der Angriff Russlands auf die Ukraine weder unerwartet noch überraschend war. Anders als die Baltischen Staaten oder Polen hat sich Deutschland sehr lange geweigert, die Zeichen richtig zu bewerten. Mitnichten ist der Angriff Russlands ein Akt der Verteidigung eines durch die böse NATO in die Ecke getriebenen, wehr- und harmlosen, friedliebenden Landes. Die Hartnäckigkeit dieses Narrativs bezeugt den Erfolg russischer Desinformation als auch das strategische Vorgehen Putins. Seit 2008 konnten wir relativ klar sehen, was in Europa vor sich geht: 2008 hat Russland bereits in Südossetien und Abchasien (Georgien) Krieg geführt, den sogenannten 5-Tage-Krieg. Die russische Zielstrebigkeit in Form der heftigen Bombardements zeigte auch damals schon, dass Moskau auf die Gelegenheit gewartet hatte, seinen Machtanspruch in der Region militärisch zu demonstrieren. Die Verhinderung eines NATO-Beitritts Georgiens war ein klares Ziel, aber natürlich ging es um mehr: die hauptsächlich von amerikanischen und westeuropäischen Ölkonzernen errichtete Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline (btc-pipeline), die zweitgrößte Ölpipeline der Welt, lag unmittelbar in der Kampfzone. Sie beförderte seit 2005 aserbaidschanisches Rohöl über Georgien – und somit unter südlicher Umgehung des Öl- und Gasproduzenten Russlands – bis in den türkischen Mittelmeerhafen von Ceyhan. Die NATO hatte damals Georgien und Südossetien zu Gewaltverzicht aufgerufen. Eine gemeinsame Erklärung des UN-Sicherheitsrates zum Konflikt um Südossetien war übrigens am Widerstand Russlands gescheitert: Moskau widersetzte sich internationalen Forderungen nach einer Waffenruhe. 2022 begann die Aufarbeitung von durch Russland begangenen Kriegsverbrechen in diesem Krieg. Sie folgen denselben Mustern, wie seit einem Jahr in der Ukraine. Wer hier danach schreit, es gäbe zu wenig diplomatische Bemühungen, der sollte das in Russisch abfassen und an den Kreml schicken. Dort sitzt der richtige Adressat. Fakt ist: Putin hat das diplomatische Parkett verlassen und ist seither nicht zurückgekehrt. Das, was jetzt scheinheilig in russischer Propaganda-Manier als Friedensbemühungen Russlands verbreitet wird, muss hinterfragt werden. Russlands Friedensvorstellungen können nicht die unseren sein – und nicht wir sind es, die der Ukraine vorzuschreiben haben, was sie unter Frieden akzeptieren kann. 2014 die nächste kriegerische Aktion Russlands, als es völkerrechtswidrig die Krim annektierte. Es war ein Armutszeugnis für Europa und die NATO, zu glauben, wenn man Putin das ließe, dann würde es Frieden geben. Was für eine Fehleinschätzung! Seit dem 24. Februar 2022 tobt der Krieg in der Ukraine – geleitet von imperialistischen Motiven des Kremls. Und wir begegnen ihm in den Geschichten und Gesichtern der Menschen, die als Kriegsgeflüchtete zu uns nach Sachsen kommen. Wer gegen Waffenlieferungen ist, muss die Frage akzeptieren, ob das Sterben von ihren Verwandten, Söhnen, Vätern hingenommen wird, wenn es an Verteidigungsmöglichkeiten fehlt? Wer sagt, das ist nicht unser Krieg, der:die blendet aus, wer die russische Armee und deren Waffen auch mitbezahlt hat. Das war auch Deutschland durch eine fehlgeleitete Energiepolitik und gefährliche Abhängigkeit von russischem Gas. Milliarden, die zur Vorbereitung des Kriegs dienten, flossen nach Russland. Die Ukraine leidet unter dem brutalen Angriffskrieg und den Kriegsverbrechen. Und sie hat das Recht auf Selbstverteidigung. Die Verteidigung ihrer Souveränität ist eine Verpflichtung – und so ist es auch unsere Verantwortung als Teil der internationalen Gemeinschaft, ihr bei der Durchsetzung dieses Rechts zu helfen. Waffenlieferungen in begrenztem Umfang halten wir daher für richtig, da sie der Ukraine die Mittel geben, sich zu verteidigen und ihre territoriale Integrität zu schützen. Es ist davon auszugehen, dass Russland eine Frühjahrsoffensive plant. Und darum hat Deutschland zusammen mit seinen Partnern gehandelt, damit die Ukraine den Krieg in den nächsten Monaten eben nicht verliert. Und um es nochmal deutlich zu machen: Es geht um Verteidigung und nicht um einen Angriff auf Russland und sein Territorium. Russland verteidigt hier nicht sein Land und seine Leute – sondern Russland bombardiert zivile Ziele, zerstört Infrastruktur und will die Ukraine auslöschen. Waffenlieferungen sind in solchen Konfliktsituationen notwendig, um eine angemessene Verteidigung zu ermöglichen. Und dass eben moderne Waffensysteme den Unterschied machen, zeigt sich im Vergleich der Leopard2-Panzer zu Panzern sowjetischer Bauart deutlich. Einige argumentieren, dass Waffenlieferungen den Konflikt verschlimmern. Diese Position lässt sich nachvollziehen. Aber es bleibt die Tatsache, dass die Ukraine unter Angriff steht und Russland an der Eskalationsspirale dreht. Für uns ist klar, dass der Krieg nicht dadurch schneller beendet wird, indem wir keine Waffen liefern. Das Wort „Kriegstreiber“ wird in den letzten Monaten immer häufiger benutzt, oft unreflektiert. Ja, wir haben es mit einem Kriegstreiber zu tun. Er sitzt im Kreml und sein Name ist Vladimir Putin; ein Ex-KGB-Offizier. Und nein, es ist kein von Amerika angezettelter Krieg. Es gibt mehrere Gründe, warum die Argumentation, dass Russland im Ukraine-Krieg gar das Opfer sei, schlichtweg falsch ist. Der Krieg findet ausschließlich auf ukrainischem Territorium statt. Und es gäbe keinen Krieg, hätte Russland ihn nicht begonnen. Über in Ostdeutschland gehisste Russlandfahnen und Solidaritätsbekundungen, als wäre Russland hier das Opfer, kann man sich daher nur wundern. Es darf hier keine Relativierung oder Umdeutungsversuche geben, die das Leid der Menschen in der Ukraine verhöhnen. Frieden muss immer das Ziel sein, aber dieser Frieden muss auch eine Qualität haben; es kann ihn nicht um jeden Preis geben. Er muss unter fairen und gerechten Bedingungen erreicht werden. Frieden kann es daher nur geben, wenn die Ukraine als souveräner Staat mit vollständigem Staatsgebiet wiederhergestellt ist. Wer in der jetzigen Zeit einen russischen Diktatfrieden um den Preis der ukrainischen Gebiete propagiert, holt den Krieg näher an uns heran. Unsere europäischen Nachbarn Polen oder die baltischen Staaten mahnen seit Jahren und weisen auf die Gefahr durch Russland hin. Wir teilen eine gemeinsame Geschichte mit unseren osteuropäischen Nachbarn aus der Zeit der Sowjetunion und wir wissen, was russische Hegemonie bedeutet. Wir wollen das nie wieder. Es ist wichtig, dass die internationale Gemeinschaft ein klares Signal sendet, dass ein russischer Diktatfrieden nicht akzeptabel ist. Dazu gehören auch Reparationsleistungen durch den Aggressor und die völkerrechtliche Aufarbeitung und Bestrafung der Kriegsverbrechen. Friedliche Verhandlungen sind keine Einbahnstraße. Beide Seiten müssen bereit sein, Kompromisse einzugehen, um zu einer friedlichen Lösung zu gelangen. Aber es ist unverzichtbar, dass die Ukraine als gleichberechtigter Partner an diesen Verhandlungen teilnimmt und nicht als unterworfener Staat. Und nicht wir sind es, die der Ukraine zu sagen haben, zu welchen Bedingungen sie Frieden akzeptiert. Trotz internationaler Bemühungen, eine friedliche Lösung zu finden, und ja, natürlich gibt es diplomatische Bemühungen, hat Russland das diplomatische Parkett verlassen und ist bislang nicht wieder zurückgekehrt; es fehlt an der Bereitschaft, auf Augenhöhe zu verhandeln. Und nur dies kann das Ziel sein.
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