Aktuelle Debatte Israel: Es gibt keine Alternative zu einer klaren Haltung gegen jeden Antisemitismus

Redebeitrag der Abgeordneten Franziska Schubert (BÜNDNISGRÜNE) zur Ersten Aktuellen Debatte der Fraktion CDU zum Thema: „Solidarität mit Israel – Jüdisches Leben in Sachsen schützen.“
78. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 08.11.2023, TOP 5

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der jüdischen Gemeinden,

am 7. Oktober 2023 wurde die größte Zahl jüdischer Menschen seit Ende des 2. Weltkrieges an einem Tag getötet. Für die jüdischen Menschen bedeutet dieser Tag eine Zeitenwende.

Die Terrororganisation Hamas ging mit einer Barbarei und unvergleichbaren Brutalität vor, die sprachlos macht. Und sie filmte all das, die gesamten Gräueltaten und stellte sie online. Ein Pogrom in Echtzeit übertragen. Das sind keine Freiheitskämpfer. Das sind Terroristen.

Und sehr bewusst war auch der Zeitpunkt gewählt am Ende des Laubhüttenfestes und 50 Jahre nach Beginn des Jom Kippur Kriegs am 6. Oktober 1973.

Die Zeitenwende für Jüdinnen und Juden bedeutet: Die Gewissheit eines sicheren Staates Israels für Juden ist erschüttert. Was für eine Zäsur.

Der Schock über das nicht Geglaubte und doch Geschehene darf unsererseits, hier in Deutschland, hier in Sachsen, nicht in Zurückhaltung, Schweigen, Relativierung oder Rückzug münden.

Nein, wir müssen, wir können und wir werden sehr klar benennen, wo wir stehen und weshalb, wer die Täter sind und was wir tun können.

Es gibt keine Alternative zur klaren Haltung gegen jede Form von Antisemitismus. Es gibt keine Rechtfertigung für Hass gegen Jüdinnen und Juden. Und es gibt kein „Ja, aber“.

Das Recht Israels, sich gegen die Bedrohung durch seine Feinde mit allen nötigen Mitteln zu verteidigen, steht für uns außer Frage. Das, was die Hamas macht, ist barbarisches, unmenschliches und sinnloses Morden, das immenses Leiden schafft – in Israel und in Gaza.

Die Anzahl antisemitischer Straftaten ist massiv angestiegen, auch in Deutschland. Auf Demonstrationen werden antisemitische Parolen gerufen. Es ist wahr, was Vizekanzler Robert Habeck gesagt hat: „Während es schnell große Solidaritätswellen gibt, etwa wenn es zu rassistischen Angriffen kommt, ist die Solidarität bei Israel rasch brüchig. Dann heißt es, der Kontext sei schwierig. Kontextualisierung aber darf hier nicht zur Relativierung führen.“

Es ist notwendig, die Solidarität mit Israel auch vor dem Hintergrund des morgigen Gedenktages zur Reichspogromnacht zu sehen.

Die Reichspogromnacht war der Auftakt der Vernichtung jüdischen Lebens in Deutschland, der Shoa. Daraus erwächst unsere historische Verantwortung für Israel. Und wenn wir vom Existenzrecht und der Sicherheit Israels als Staatsräson sprechen, ist das keine leere Worthülse, sondern ein Bekenntnis. Ich zitiere dazu Konrad Adenauer, der es für mich zeitlos auf den Punkt gebracht hat:

„Wer unsere besondere Verpflichtung gegenüber den Juden und dem Staat Israel verleugnen will, ist historisch und moralisch, aber auch politisch blind. Der weiß nichts von der jahrhundertelangen deutsch-jüdischen Geschichte und nichts von den reichen Beiträgen, die von Juden zur deutschen Kultur und Wissenschaft geleistet worden sind. Er begreift nicht die Schwere der Verbrechen des nationalsozialistischen Massenmords an den Juden.“

Die Gründung Israels war nach dem Holocaust das Schutzversprechen an die Jüdinnen und Juden – und Deutschland ist verpflichtet, dass dieses Versprechen erfüllt werden kann. Als BÜNDNISGRÜNE bejahen wir auch die besondere Verpflichtung des Staates zum Schutz jüdischen Lebens in unserem Land.

Lassen Sie mich einige persönliche Worte sagen. Dazu möchte ich folgende Erinnerungen mit Ihnen teilen:

1. Vor einem Jahr wurde in Görlitz ein neuer Davidstern auf der Kuppel der jüdischen Synagoge, dem heutigen Kulturforum Görlitzer Synagoge, errichtet. Ein zutiefst bewegender und historischer Moment. Ein Bekenntnis und eine sehr bewusste Entscheidung. Ein Jahr später stehe ich hier, bin ebenso zutiefst bewegt, aber erschüttert.

2. In diesem Jahr war ich Gast auf der Jewish Remembrance Week in Görlitz, organisiert von Mrs. Leiderman. Sie hat einen ganzen Bus voller Nachfahren jüdischer Menschen, die früher in Görlitz lebten, und auch zwei hochbetagte Holocaust-Überlebende aus der ganzen Welt nach Görlitz gebracht. An einem Abend kam ich ins Gespräch mit einem Mann aus Australien. Es kam der Moment, da konnte ich meine Tränen nicht aufhalten. Der Mann sagte: „It’s not your fault.“ Ich sagte: „But it’s still my responsibility.“

Jüdinnen und Juden haben in Deutschland wieder Angst, sich zu bekennen, sich zu zeigen, ihre Kultur und Religion zu leben. Die Angst ist zurück. Das haben wir unter anderem letzte Woche im Gespräch des Kabinetts mit den jüdischen Gemeinden erfahren. Ich will das nicht. Ich will nicht, dass jüdische Menschen wieder Angst haben in Deutschland.

Aber der Antisemitismus zeigt sich in diesen Tagen in vielen Facetten – offen auf der Straße bei Demonstrationen, durch brennende israelische Flaggen, durch Drohungen und Angriffe. Der Antisemitismus zeigt sich sogar bei studentischen Gruppen. Ob Hetze oder Judenwitze, wir dürfen hier nicht wegschauen. Es ist wichtig, dem entgegenzutreten und ein klares Zeichen zu setzen, damit „das radikale Gute“, von dem Hannah Arendt sprach, immer stärker bleibt. Antisemitismus ist NIE zu tolerieren – von keiner Seite.

Zeigen wir Empathie für unsere jüdischen Mitmenschen! Das gehört zum „Nie wieder“. Dieses Nie wieder ist jetzt.

Die anti-israelischen Demonstrationen in den letzten Wochen waren absolut inakzeptabel. Nichts, aber auch wirklich gar nichts rechtfertigt das Handeln der Hamas-Terroristen. Und so dürfen wir weder die Augen vor dem verfestigten Antisemitismus der Rechtsextremen verschließen, der den Holocaust relativiert, noch vor dem aus Teilen einer politischen Linken.

Und bevor die Frage nach möglicher Kritik an der politischen Führung Israels aufkommt: Ja, diese ist erlaubt. Und es ist genauso erlaubt, sich für die Rechte der Palästinenser und Palästinenserinnen einzusetzen und die Linderung des Leids im Gaza-Streifen. Das Völkerrecht gilt immer und ausnahmslos für alle Seiten. Die Einforderung von Humanität und Schutz der Zivilbevölkerung sind daher selbstverständlich richtig und wichtig.

Aber die Hamas hält in meinen Augen nicht nur 241 jüdische Geiseln fest. Sie hält auch zwei Millionen Menschen im Gazastreifen als Geiseln und menschliche Schutzschilde fest. Die zivilen Opfer im Gaza-Streifen sind Opfer des Terrors der Hamas.

Zur Bedrohungslage in Deutschland: Es braucht mehr staatlichen Schutz und die konsequente Verfolgung antisemitischer Straftaten. Wir setzen uns dafür ein, dass Strafverfolgungsbehörden geschult sind und Antisemitismus als solchen erkennen und ahnden.

Und ich zitiere hier wieder Vizekanzler Robert Habeck: „Unsere Verfassung schützt und gibt Rechte, sie legt Pflichten auf, die von jedem und jeder erfüllt werden müssen. Beides kann man nicht voneinander trennen. Toleranz kann an dieser Stelle keine Intoleranz vertragen. Das ist der Kern unseres Zusammenlebens in der Republik.“

Deshalb ist es absolut nicht zu tolerieren, wenn zur Gewalt gegen Juden aufgerufen wird. Wer in Deutschland leben will, von dem erwarte ich, sich zur deutschen Staatsräson klar zu bekennen.

Wir müssen offensichtlich etwas für die politische Bildungsarbeit, die engagierte Zivilgesellschaft und Erinnerungskultur tun und sie noch besser unterstützen. Es ist das Fühlen des Grausamen, was diese Erinnerungskultur erfüllt und sich in unserem Handeln nachhaltig verankert.

Und schließlich gehört zum Schutz des jüdischen Lebens auch die Unterstützung der jüdischen Kultur. Als BÜNDNISGRÜNE wollen wir, dass die jüdische Kultur einen selbstverständlichen Platz in unserem Gemeinwesen einnimmt. Dafür treten wir ein.

„Macht etwas, das menschlich ist“, hat der israelische Autor Etgar Keret auf die Frage geantwortet, welche Art von Solidarität er sich wünscht. Wir sollten einander unterstützen und stärken, um Widerspruch zu leisten, überall da, wo er notwendig wird, wo Antisemitismus als Facette von Meinungsfreiheit bagatellisiert wird. Leisten wir alle unseren Beitrag dazu. Und für meine Fraktion darf ich deutlich sagen: Wir stehen an der Seite der jüdischen Menschen in diesem Land.

Angesichts der Gräueltaten, die beim Angriff auf Israel begangen wurden, ist es schwer, in diesen Zeiten das tiefe Gute zu sehen, wenn oberflächlich so viel Böses wütet.

Angesichts des unendlichen Leids der Menschen, der Angst der Zivilbevölkerung und der Angehörigen ist es schwer, das radikale Gute zu spüren, wenn so viel Böses schwelt.

Und dennoch möchte ich schließen mit Hannah Arendts Wort vom radikalen Guten:

„[D]as Böse ist immer nur extrem, aber niemals radikal, es hat keine Tiefe, auch keine Dämonie. Es kann die ganze Welt verwüsten, gerade weil es wie ein Pilz an der Oberfläche weiterwuchert. Tief aber, und radikal ist immer nur das Gute.“

Engagieren wir uns gemeinsam genau dafür und erfüllen wir das „Nie wieder“ mit Leben.