Bauernproteste – ein Beitrag

Ich möchte in diesem Beitrag skizzieren, warum für mich die Bauernproteste über die verständliche Kritik zu den jetzigen Regierungsentscheidungen hinaus eine zusätzliche Dimension haben.

Im Kern geht es meines Erachtens nach um zwei Dinge:

1) Die grundsätzliche Situation von Landwirtschaft in einem fehlgesteuerten Preisbildungs- und Fördersystem und

2) die Basis unseres Zusammenlebens in gegenseitigem Respekt und in Freiheit.

Ich möchte den Blick zunächst auf die Basis unseres Zusammenlebens in gegenseitigem Respekt und in Freiheit richten.

Protest ist legitim; unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung ermöglicht ihn.

Dennoch erinnert mich der Bauernverband seit Beginn der Aufrufe zur Protestwoche in diesen Tagen an den Zauberlehrling: die Geister, die ich rief. Ähnlich wird das im Leitartikel der Freien Presse am 8.1.2024 beschrieben: „Es droht ernst zu werden. Und den Zauberlehrlingen wird bange. Nirgends ein Hexenmeister, der in der Lage oder Willens wäre, den angestachelten Unmut wieder zu bändigen und dieser Akzeptanzkrise des politischen Systems mit Vernunft und natürlicher Autorität zu begegnen. So sehr Bauernvertreter und Politiker mittlerweile auch bitten mögen, die Proteste ab Montag sollten friedlich ablaufen und keinen Platz für Extremisten bieten – dafür ist es zu spät. Zu viele Akteure haben sich eine Maßlosigkeit zu eigen gemacht, einen Ton angeschlagen und einen Leichtsinn im Umgang mit dieser Demokratie an den Tag gelegt, als dass es am Montag bei normalen Bauernprotesten bleiben könnte. Man muss eher befürchten, dass damit der Charakter dieses Wahljahres frühzeitig festgeschrieben wird.“ (Torsten Kleditzsch, Leitartikel Freie Presse, https://www.freiepresse.de/meinungen/kommentare/kommentar-zu-den-bauernprotesten-der-streit-hat-jedes-mass-verloren-artikel13196741)

Rhetorik in krisenhaften Zeiten erfordert Achtsamkeit auf allen Seiten. Ich erinnere daran, wie sich der Bauernverband ausdrückte: so wurden „Proteste in einem noch nie dagewesenen Ausmaß“ angekündigt, die das „Land lahmlegen“ werden. Ich gebe zu bedenken: eine allzu radikale Sprache hilft weniger der Sache – es wird genutzt zum Zündeln von Rechten, es beflügelt deren Umsturzfantasien, wenn sie davon sprechen, “das Volk” würde aufstehen und dazu einen „Tag des Widerstands“ ankündigen, zudem werden Symbole und Übergriffigkeiten verharmlost. Beim Protest steht also viel mehr auf dem Spiel als die jetzigen Regierungsentscheidungen, die im Übrigen verschiedene Bereiche betreffen und nicht nur die ohnehin schon hoch subventionierten.

Es entbindet niemanden, der sich mit dem Protest solidarisiert, davon, sich in Wort und vor allem Tat zu distanzieren von rechtsextremistischer, verschwörungsideologischer und umstürzlerischer Begleitschaft. Die Frage: Mit wem stehe ich da? darf nicht beantwortet werden mit: die wird´s immer geben, da kann man nichts dagegen tun. Ausdruck dieser gefährlichen Unbedarftheit zeigte sich unlängst für mich in einem Gespräch mit einem Bauern, der sagte: „Ich weiß nicht, was die Freien Sachsen sind. Ich bin auch nicht auf Telegram.“ Gleichzeitig waren die Wangen schon gerötet von den Vorbereitungsmaßnahmen und der Aussicht, mit vielen Treckern in dieser Woche Aktion zu machen. Gemeinsam wolle man es denen „da oben“ jetzt mal zeigen, was solle man schon sonst machen? Ich sehe mit Erschrecken, dass es entweder Einige nicht wahrhaben wollen oder tatsächlich nicht besser wissen oder, und das ist gefährlich, es leugnen und nicht wissen wollen. Es gibt sie mittlerweile zuhauf: die Bilder von den Demos heute mit klarer Fahnensymbolik und Beschriftungen.

Ist es, um auf die Bemühungen des Bauernverbandes zurückzukommen, dort Dinge einzufangen, eigentlich anständig, dass es in den zahlreichen WhatsApp-Gruppen keinen Widerspruch dazu gibt, wenn Galgen aufgestellt werden? Wenn Mistladungen vor Abgeordnetenbüros landen? Wenn Politiker in privaten Zusammenhängen bedroht werden? Es ist richtig, dass sich der Deutsche Bauernverband klar positioniert – doch in den zahlreichen regionalen Untergruppen gibt es da oft genug keinen Widerhall. Das sind die Geister, denen nun der Hexenmeister fehlt.

Zu Recht wird die Frage nach dem Umgang miteinander aufgeworfen, unter anderem von Ulli Schönbach in der Sächsischen Zeitung:

Protest darf laut sein und soll stören, doch es gibt klar definierte Grenzen. Es ist das eine, ein Schild mit einer radikalen Forderung mitzuführen oder „denen da oben“ bei einer Kundgebung lautstark die Meinung zu geigen. Es ist etwas ganz anderes, in die Privatsphäre eines Ministers einzudringen und seine Sicherheit zu bedrohen. Diesen Unterschied kennt jeder, und sei der Unmut über politische Entscheidungen noch so groß. Die Bauernverbände sind daher gefordert, ihren Ankündigungen Taten folgen zu lassen. Es genügt nicht, sich verbal von Krawallmachern und rechten Umsturzfantasten zu distanzieren. Die Landwirte müssen sicherstellen, dass diese Gruppierungen tatsächlich keinen Einfluss auf Inhalt und Verlauf der Aktionswoche erlangen. Wer zum Protest aufruft, der ist auch verantwortlich für das Bild, das er öffentlich abgibt. Im Gegenzug haben die Bauern einen fairen Umgang mit ihren Forderungen verdient. Dass es unter den Protestierenden rechte Trittbrettfahrer gibt, rechtfertigt nicht, Deutschlands Landwirte unter Generalverdacht zu stellen. Hier machen es sich die Kritiker zum Teil viel zu leicht. Wer sich um die politische Kultur des Landes sorgt, sollte selbst die Tugend der Differenzierung nicht vergessen. Und nicht zuletzt: Jeder, ob Vertreter der Landwirte oder politischer Unterstützer in Bund und Land, darf sich selbstkritisch fragen, welche Wortwahl und Bildsprache gerade jetzt angemessen ist. Das Signal der Landwirte ist deutlich – und wird gehört. Es gibt keinen Grund, die Stimmung weiter anzuheizen. Die eigenen Anhänger zur Mäßigung aufzurufen, wie es seit dem Wochenende zum Teil schon geschieht, ist kein Zeichen von Schwäche – im Gegenteil.

Bei verbalem Zündeln, ausbleibendem Widerspruch in dezentralen Chat-Gruppen bei Grenzüberschreitungen und dem Auseinanderklaffen von Wort und Tat passiert dann Folgendes: Methoden, die aus einer anderen Zeit der deutschen Geschichte kopiert wurden, werden in die Mitte der Gesellschaft getragen. Die Bauernproteste bieten dafür eine willkommene Plattform – die Radikalisierung frisst sich von den Rändern in die Mitte der Gesellschaft. Davon profitiert nicht die Sache an sich, wohl aber die Ränder.

Dirk Neubauer, Landrat von Mittelsachsen, hat in seinem Blogbeitrag dazu formuliert: „Doch das, was sich da gerade zusammenfindet, hat großteils inzwischen nichts mehr mit den Bauernprotesten zu tun. Denen man – ich sag es nochmal – grundsätzlich zustimmen muss, denn das Versammlungsrecht ist ein hohes Gut und muss geschützt werden. Ob Verhältnismäßigkeit der Sache und Inhalt an sich die rechtfertigt, ist zweites. Und da kann man auch anderer Meinung sein. Aber so ist Demokratie.“ (https://denkwerkost.de/von-der-freiheit-die-keiner-sehen-will)

Hinter den Protesten steht mehr als die jetzigen Regierungsentscheidungen, auch, wenn das nicht jeder, der sich beteiligt, wahrhaben will. Ja, es gibt Verunsicherung und Erschöpfung; es waren und sind keine einfachen Zeiten. Wir dürfen jedoch nicht blind sein, wer diesen Nährboden ausnutzen will mit seiner Saat. Und da wehten sie am 8. Januar dann tatsächlich – z.B. die Fahnen der sogenannten “Freien Sachsen” an zahlreichen Traktoren. Es kann mir keiner sagen: hab´ ich nicht gewusst, dass die das sind. Ist Allen bewusst, was völkisch-nationalistische Symbole sind, werden sie erkannt, sind sie bekannt? Ich finde diese Art des Unbedarften gefährlich. Hier wird verharmlost, was schon einmal in Deutschland dazu geführt hat, dass es eben keine Freiheit mehr gab.

Umsturz heißt Zerstörung, das muss Allen klar sein. Umsturz heißt, die Freiheit Aller abschaffen zu wollen – das dürfen wir nicht dulden. Radikale und Populisten haben Aufwind und es ist an der großen schweigenden Mehrheit, sich einzubringen. Der politische Hauptgegner sind die, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung abschaffen wollen. Das Grundgesetz ist unser Fundament. Darüber darf es keine zwei Meinungen geben.

Der Umgang miteinander in demokratischen Zusammenhängen erfordert, dass man Respekt und Anstand behält. Wer nicht erkennt, dass es Teil einer systematischen Masche ist, wer hier wem nach dem Mund redet, Empörung aufgreift und sich verbrüdert, dem fehlt es an einer wichtigen Kompetenz. Der lässt zu, dass Grenzen verschoben werden; ja, bis zu welcher Eskalationsstufe? Vorsicht Vorsicht, wer hier wen zum Bauernopfer macht und für wen die Bauern zu Bauern im politischen Schachspiel werden.

Was mir fehlt, ist die Forderung nach echter, konstruktiver und notwendiger Veränderung. Ich lese einiges auf den Schildern der heutigen Demos, was ich durchaus für richtig halte. Es fehlt aber auch einiges und eine Protestwoche würde sich eignen, ein bißchen mehr in die Tiefe zu gehen.

Und da komme ich zum anderen Kern dessen, worum es eigentlich gehen sollte: die grundsätzliche Situation von Landwirtschaft in einem fehlgesteuerten Preisbildungs- und Fördersystem. Ja, und Bürokratie natürlich – völlig d´accord. Klar ist doch aber auch, dass es diese überbordende Bürokratie nicht erst seit der Ampel gibt – daran hat jede Regierung fleißig gearbeitet und die Verwaltung ist nicht willens, das wieder zurückzudrehen. Politik mag manches gut meinen; was dann in den Verwaltungen daraus gemacht wird, ist oftmals dann weit weg vom zu bewältigenden Maß.

Es wird in diesen Tagen so ziemlich von jeder Seite über Verständnis gesprochen. Doch was ist das eigentlich? Protest ist legitim im beschriebenen Rahmen; es gibt Viele, die das Anliegen verstehen und sich auch für eine Rücknahme der politischen Entscheidung klar positioniert haben (auch ich). Man sollte jedoch aufpassen, dass die eigentlichen Ursachen für das, was die Landwirtschaft belastet, nicht verdeckt werden durch Aktionen, die Eventcharakter haben. Worum sollte es wirklich gehen?

Um Jahrzehnte verfehlter Agrarpolitik und fehlgesteuerter Förderung. Um Lobbymacht von Düngemittelproduzenten, Pflanzenschutzmittelunternehmen, Landmaschinenherstellern und anderen, die Profite machen mit dem Druck, dem Landwirte ausgesetzt sind.

Wer stellt eigentlich gerade die Produktionskostenfrage und wer fragt danach, wer eigentlich die Preise macht? Ich sehe keine Protestschilder gegen ALDI und Co. Auch keine Wehrhaftigkeit gegen „Wachse oder weiche“, was definitiv der falsche Weg ist; oder gegen das Höfesterben. Unter CDU/CSU haben in den letzten Jahren 100.000 Betriebe aufgegeben – das ist doch nicht das, was wir wollen. Benennt das doch bitte mit!

Was ist mit dem Kampf gegen Bodenspekulationen? Der Preisspirale für Ackerland? Was ist mit mehr Unterstützung für die Erzeuger bei Tierwohl, mehr Klimaschutz zugunsten der natürlichen Produktionsfaktoren? Wer steht denn für mehr regionale Wertschöpfungsketten, die Förderung von Direktvermarktung, regionale Schlachtung, kurze Wege?

Wo hat man da denn politische Verbündete? Die AfD ist das schon mal nicht, da die grundsätzlich Subventionen abschaffen wollen. Auch egal? Übersieht man das dann großzügig? Benennt es! Bleibt fair.

Mir fehlt diese Art der Kritik der Verbände, wenn sie schon soviel Aufwand betreiben, um eine Protestwoche anzuschieben. Mir fehlt, dass sie thematisieren, welche Veränderungen notwendig sind, vor denen Landwirtschaft steht. „Die Ampel muss weg“ ist mir da etwas zu kurz gesprungen nach Jahrzehnten von grundhaft unguter Agrarpolitik.

Ich sehe die grundsätzliche Kritik von den Bio- und Öko-Landwirtschaften, die das System seit vielen Jahren kritisieren. Mich schmerzt es hier besonders, zu sehen, dass gerade diese jetzt durch die schrittweise Abschaffung der Privilegierung von Agrardiesel deutlich höhere Mehrkosten haben werden durch ihre Art der Bodenbearbeitung. Das kann´s ja auch nicht sein, dass besonders die hart getroffen werden, die ihre Sache im Einklang mit den planetaren Grenzen machen.

Ich möchte hier nochmal Dirk Neubauer zitieren: „Das wir uns nicht falsch verstehen: Es ist nicht alles gut. Und die Einschnitte, die es nun geben wird, sind schmerzlich. Die Art und Weise deren Umsetzung grenzwertig. Mindestens. Doch Veränderung ist nötig. Weil sich immer alles bewegt. Und manchmal mehr. Wir müssen vieles gerade bewältigen. Mussten aber Generationen vor uns auch. Und das dies herausfordernd ist, ist unbestritten. Und ja, wir machen dabei Fehler. Zuwanderung muss gesteuert werden, die Energiewende braucht finanzielle Unterstützung und Justierung. Wir müssen uns neu erfinden und dies in kurzer Zeit. Und, und, und… Alles richtig. Alles wahr. Dennoch geht das alles nicht, wenn wir Demokratie, die Verfasstheit des Staates und unsere Regeln und Werte mit Füssen treten. Wenn nur noch gebrüllt wird. Gegen und für alles. Wenn wir verantwortungslos agieren und alles von uns weisen. Zu irgendwem, einer imaginären Verheissung, die alles richtet. Hatten wir schonmal. Wirkte am Ende weltweit und war kein Erfolgsmodell.[…] Achja. Ganz im Ernst. Wir leben bereits in einer freiheitlichen Grundordnung und sollten diese eher verteidigen und mit Leben füllen, statt sie klein zu reden. Und dieses braucht uns. Nimmt uns in die Pflicht. Statt alles und jedes Thema anderen zur Lösung zu delegieren, oder dieses gesamte System ins Jammertal zu tragen. Denn das ist so sinnvoll, wie ein Suizid aus Angst vor dem Tod.“ (https://denkwerkost.de/von-der-freiheit-die-keiner-sehen-will)

Wie wäre es also, sich auf gemeinsame Nenner zu konzentrieren und zu schauen, wie können wir das grundsätzlich anders machen? Darüber muss ernsthaft und ehrlich diskutiert werden. Das mag beschwerlicher sein als das Schaffen von Feindbildern und erfordert mehr als Empörung. Ist trotzdem notwendig.

Im Übrigen – trotz der Apokalypse, die so mancher Traktor vor sich herträgt: so schlecht geht es der deutschen Landwirtschaft nicht, wenn man sich die Bilanzen anschaut, etwa aus der “agrarheute” vom November 2023. Die dürfte nicht im Verdacht stehen, ein besonders grünennahes Lobbyblatt zu sein. Auch der Leitartikel der Freien Presse vom 8. Januar greift das auf: „Richtig, die Versorgungssicherheit eines Landes hängt nicht zuletzt an seiner Fähigkeit, sich zu ernähren. Dafür spielen die Bäuerinnen und Bauern die entscheidende und auch besonders verantwortungsvolle Rolle. Und weil diese Rolle in einem völlig freien Markt hier in Deutschland nicht zu erfüllen wäre, erhält die gesamte Branche jährlich etwa sechs Milliarden Euro Subventionen für die Landwirtschaft und Landschaftspflege allein aus dem EU-Haushalt. Das ist vom Ziel her auch vernünftig. Aber darum geht es ja überhaupt nicht mehr. Das Ganze hat längst den Charakter angenommen, den Staat und diese Demokratie grundsätzlich herauszufordern. Den Profiteuren schwebt ein anderes Land vor. Die Bauern sind nur die Bauern in dieser Partie.“ (Torsten Kleditzsch, FReie Presse, 8. Januar 2024)

Gehen wir nochmal zurück zum Auslöser der ganzen Misere rund um die geplanten Streichungen von zwei Subventionsbereichen, die in Teilen zurückgenommen wurden.

Es gab einmal einen Haushaltsentwurf. Gegen den wurde geklagt von Seiten der Union. Daraufhin gab es ein Urteil, das man das so nicht machen könne. Darauf hatte übrigens Robert Habeck auch hingewiesen, dass das riskant sei; der Bundesfinanzminister hat es trotzdem gemacht und der Kanzler gedeckt. Daraufhin gab es Möglichkeiten: entweder man macht ´was mit der Schuldenbremse oder man versucht Einsparungen in allen möglichen Bereichen. Der Weg der Einsparungen wurde gewählt, es traf Verschiedene; die Landwirtschaft mit unverhältnismäßiger Härte. Los ging der Gegenwind, daraufhin kam die Bundesregierung den Bauern ein weites Stück entgegen. Die Protestwoche war ausgerufen mit rhetorischem Feuerwerk, zahlreiche WhatsApp-Gruppen glühten und das Ganze war nicht mehr aufzuhalten und wuchs sich aus.

Ein gutes Bild gibt das freilich nicht ab für die Bundesregierung. Man kann die Ampel hier nicht in Schutz nehmen; es scheint oft an Führung und Disziplin für das Gemeinsame durch den Bundeskanzler zu mangeln. Zu sichtbar ist, dass die Ampel durch ideologische Gräben voneinander getrennt ist und es zu wenige Menschen gibt, die das Verbindende herstellen können. Es fehlt am Vermögen, Entscheidungen gut vorzubereiten und Betroffenenperspektiven auszugleichen. Das Vertrauen ist enttäuscht worden; vielleicht, weil auch die Hoffnungen zu groß gewesen sind nach Jahren der Unzufriedenheit – und weil auch sehr viel aufzuräumen bleibt im Affenzahn. Im Leitartikel der Freien Presse wird das wie folgt kommentiert: „Unser politisches System ist auf Kompromiss, Korrektur und Flexibilität ausgelegt. Absolute Mehrheiten, die Macht, alles mit einmal zu ändern, sind bewusst erschwert worden. Aber Beliebigkeit, Wankelmütigkeit und Opportunismus haben die Architekten dem System nicht eingepflanzt. Das alles ist leider Ausdruck der aktuellen Schwäche an vielen Stellen des politischen Betriebs. Kühle Köpfe, Charakterstärke und auch der Mut, zu seiner Linie zu stehen, wenn es ungemütlich wird. All das ist Mangelware. Auch in der Region gibt es nur wenige Stimmen und Entscheidungen, die vom Gegenteil zeugen.“

Seit fast 10 Jahren bin ich politisch aktiv. Leitbild meiner Arbeit war dabei immer, für etwas einzustehen. Meine Erfahrung ist, dass ein „dagegen“, ein Feindbild, Menschen zwar zusammenbringt, es diesem „dagegen“ allerdings an konstruktiven Vorschlägen und einer positiven Vision fehlt, die an eine bessere Gegenwart und Zukunft für Jene denkt, die nach uns kommen. Ich habe ein starkes Gerechtigkeitsgefühl und sehe manchmal Dinge anders, als meine Parteizugehörigkeit mutmaßen lässt. Das Gespräch mit Menschen, die eine andere Ansicht als ich vertreten, kenne ich. Ich weiß, wie man mit Emotionen umgeht, die manchmal so überschwänglich sind, das kaum ein vernünftiges Gespräch möglich ist. Mein Ansatz war immer, Wege zu finden, nach Lösungen zu suchen; auch durch die Informationen, die ich durch Gespräche erfahren habe. Mir braucht niemand erzählen, was Landwirtschaft heißt: meine Großeltern waren Landwirte und Fleischer, mein Vater hat über Jahrzehnte mit meiner Mutter zusammen das Geschäft geführt; ich bin geprägt worden durch die Produktion von Lebensmitteln und wie die Dinge zusammenhängen. Ich weiß, wie es ist, sich um Tiere jeden Tag kümmern zu müssen – Bienen und Schafe prägen seit vielen Jahren mein privates Engagement. Ich hab´ auch einen Traktor, kann sensen und mache jeden Sommer mein Heu selbst, alles per Hand. Ich bin grundsätzlich interessiert an anderen Perspektiven; meine Feststellung ist jedoch, dass es andersrum oft nicht so ist. Unlängst schickte ich meine Positionierung zum Thema Agrardiesel einem bekannten Bauern. Erschreckend war, dass er meinte: “Es ist egal, wie du dich positionierst. Das interessiert die Landwirte hier in der Gegend nicht. Du bist Grüne, das reicht, alles andere zählt nicht.” Man meint, zu wissen und das würde reichen, um zu urteilen. Ich denke, das reicht nicht; das ist dürftig und feige. Wie kommen wir wieder in einen Dialog, aus dem beide Seiten etwas lernen wollen? Wenn sich Unbedarftheit mit Selbstgefälligkeit paart und der Auffassung, man stünde auf der „richtigen Seite“ – auch ein beliebter Satz in den Aufrufen zur Protestwoche – dann wird es schwierig.

Was bleibt, was wird?

Grenzen immer weiter zu verschieben, ist nicht gut. Unbedarftheit, die selbst keine Korrektur anstrebt, ist gefährlich. Das verhält sich genauso bei politischer Führungsverantwortung für ein Land.

Es braucht Bildung und Bewusstsein dafür, was eine freiheitlich-demokratische Grundordnung wert ist – und was sie bedroht. Nur auf diesem Fundament lösen wir gemeinsam, trotz verschiedener Perspektiven, die Herausforderungen der Zeit.